Die Flucht aus Klebow, Kreis Dramburg
Ein Bericht von Friedrich UECKER
Klebow ist ein kleiner Ort im Kreis Dramburg, 1936 mit 436 Einwohnern. Eigentlich haben wir in Klebow vom Kriegsgeschehen fast nichts mitbekommen. Außer, dass hin und wieder Militär durch unser Dorf kam. Auch flogen immer große Bomberpulks über uns hinweg. Mein Vater war dort Brennmeister in der Genossenschaftsbrennerei. Dort bin ich auch geboren. Nachdem mein Vater sich geweigert hat, in dei Partei einzutreten, musste er seine Stelle aufgeben und wir mussten die Brennerei verlassen. Uns wurde eine Wohnung im ehemaligen Schotterwerk zugewiesen. Wenn es noch Klebower Landsleute gibt, die das Dramburger Kreisblatt lesen, können sie sich noch an die Brennerei und das Schotterwerk erinnern.
Die Flucht begann im Februar 1945. Wer den Befehl dazu gelesen hat, weiß ich nicht. Es gab damals doch eine Durchhalteparole. Jedenfalls hatten die meisten Bauern im Ort schon ihre Wagen beladen, mit dem Nötigsten was gebraucht wurde. Ob heimlich, oder in Kenntnis, dass es bald so weit war. Ich weiß es nicht. In unserem Haus am Schotterwerk hatten sich 6 deutsche Soldaten einquartiert. Was die da sollten, ist nicht geklärt. Als wir Klebow dann verlassen mussten, wurde den Soldaten angeboten, sich der Zivilkleidung von meinem Vater zu bedienen. Meine Mutter und ich wurden von einem Bauern mitgenommen, der auch schon den Wagen gepackt hatte. Er hatte zwei Warmblutpferde. Weshalb ich dies erwähne, es sind nicht die Stärksten. Wir sind mit unserem Wagen auf dem sogenannten Sommerweg im Schlamm stecken geblieben und haben den gesamten Treck aufgehalten. Ein anderer Bauer musste uns mit seinen Kaltblütern rausholen.
Als unser Fuhrwerk wieder flott war, ging es weiter. An Gut Rosenhöh vorbei, Richtung Bad Polzin. An andere kleinere Orte kann ich mich nicht mehr erinnern. Am Rand der Straße standen viele Militärfahrzeuge. Sogar ein damals hochgelobter Tiger Panzer. Wahrscheinlich sind sie alle wegen Treibstoffmangel liegen geblieben.
Dann ging es weiter Richtung Schivelbein. Nur Redel, dort war mein Großvater ebenfalls Brennmeister, ist bei mir hängen geblieben. Wen es von unseren Landsleuten interessieren sollte, was dort am sogenannten „Blutsonntag“ passiert ist, kann es im Internet unter Redel googlen. Bis Schivelbein ging dann alles gut. Dort haben wir einen Ruhetag eingelegt. Nachdem der Treck weitergefahren ist, fing das Dilemma eigentlich erst an. Auf freiem Feld flog ein russischer Doppeldecker über unseren Treck. Der Beharkte und mit Maschinengewehrfeuer. Die ersten Wagen von dem Treck waren besonders betroffen. Es gab einige Tote und Verletzte. Auch einige Pferde lagen tot auf der Straße.
Wir haben dann unsere Wagen verlassen, uns im freien Feld in eine Furche gelegt. Ein polnischer Zwangsarbeiter mit seiner Freundin war mit uns auf dem Treck. Er hat uns aus den Furchen rausgeholt und gesagt, wir mussten dem Flugzeug entgegen laufen. So hat er wahrscheinlich unser Leben gerettet. Niemand hat sich um die Verletzten an der Spitze vom Treck gekümmert. Nur weiter, immer weiter. Wir kamen dann an eine Hauptstraße. es muss die Straße von Körlin nach Plathe gewesen sein. Unser Ziel war, wenn ich es heute auf einer Landkarte verfolge, sicherlich Kolberg. In der Ferne hörten wir Panzerkettenrasseln. Ob meine Mutter tatsächlich so naiv war, oder ob sie mich nach dem Flugzeugangriff nur trösten wollte. Sie sagte: „Nun kommen die deutsche Panzer“. Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Wir haben nie darüber gesprochen.
Als wir dann die Hauptstraße erreicht hatten, kam das Rasseln immer näher. Aus der Kurve kamen dann die ersten Panzer. Es waren keine deutschen, sondern russische. Damals waren es T 34, vollbepackt mit russischen Soldaten. Sie fuhren an uns vorbei, bis sie die Spitze des Trecks erreicht haben. Der erste Wagen wurde durch einen Panzer zusammengeschossen. Ob sich noch Menschen darin befanden, weiß ich nicht. Dann hielt die Panzerkolonne an. Die Soldaten stürmten die Wagen. Die Plünderung begann. Die Frage nach Uro, Uro, habe ich heute noch im Gedächtnis. Wenn die Ringe nicht sofort von den Fingern gingen, wurden sie abgehackt. Dies habe ich nur gehört. Auch die ersten Vergewaltigungen fanden in den Wagen statt. Auf freiem Feld sah man schwarze Gestalten im Schnee flüchten. Ob es Soldaten oder Zivilisten waren, konnte man nicht erkennen. Nach einigen Stunden mussten wir den Rückweg antreten. Die gleiche Strecke zurück. Auf dem Rückweg kamen uns viele Fahrzeuge entgegen. Panzer, LKw und andere. Eine begebenheit werde ich nie vergessen.
Auf einem Fahrzeug war ein russischer Junge, er war ungefähr in meinem Alter, dem habe ich zugewunken. Er hat mir mit erhobener Faust gedroht. Dies konnte ich als 7 jähriger überhaupt nicht verstehen. Für mich war es noch eine halbwegs heile Welt. Wir durften wieder nach Hause. Dann haben wir doch die Grausamkeiten des Krieges kennengelernt. Es verging kein Tag, wo wir nicht von Soldaten ausgeplündert wurden. Auch die Vergewaltigungen der Frauen wurde immer schlimmer. Sie wurden aus den Wagen rausgeholt und kamen als menschliches Wrack wieder.
Ein Erlbenis ist bei mir hängengeblieben. Wir übernachteten auf einem Bauernhof. In einem Zimmer haben wir mit 30 – 40 Personen geschlafen. Dann kamen die Soldaten, die meisten betrunken. Sie holten einige Frauen raus. Auch im Zimmer wurde vergewaltigt. Um mir den Anblick zu ersparen, hat mir meine Mutter eine Decke über den Kopf gezogen. Am nächsten Morgen wurden 2 Frauen in einer Scheune erschossen aufgefunden. Auf dem Rückweg nach Schivelbein waren die Straßengräben mit Leichen übersät, die meisten davon deutsche Soldaten, aber auch russische und viele Zivilisten. Keiner hat sich darum gekümmert. In Schivelbein wurde uns alles abgenommen. Der gesamte Treck wurde aufgelöst. Meine Mutter hatte einen kleinen Handwagen organisiert, auf dem wir unsere letzten Habseligkeiten verstaut hatten. Auf dem Weg von Schivelbein nach Reinfeld haben uns die Polen auch noch diesen abgenommen. So kamen wir in Reinfeld nur mit einer kleinen Tasche an. In Reinfeld wohnten entfernte Verwandte von uns. Dort haben wir einige Zeit verbracht. Dann ging es zurück nach Klebow, natürlich zu Fuß.
Die letzten Monate in der Heimat